Schritt für Schritt - oder das Tellerrandphänomen!
“Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter - Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.”
Jean-Claude Juncker in: Die Brüsseler Republik, Der Spiegel, 27. Dezember 1999, festgehalten in wikiquote
Jean-Claude Juncker und sein Aufruf als Kantischer Imperativ... 2019 zur Europawahl
Nach diesem „Mea Culpa“ gibt Juncker auch noch eine Empfehlung für die Europawahl ab. „Bitte fragen Sie sich, was passieren würde, wenn alle so abstimmen wie Sie. Wie würde Europa aussehen, wenn alle rechtsextrem wählen?“ Es ist eine rhetorische Frage, man muss sie nicht beantworten.
8. 5. 2019, https://www.taz.de/Bilanz-ueber-Junckers-Rolle-in-der-EU/!5591833/
Ja! Doch!! Ich blicke mit Sorge auf die kommenden Zeiten.
Brüssel und die Europapolitik sind so fern, dass sich einfach zu wenig Menschen die Mühe machen ihr zu folgen, sie in ihr unmittelbares Sichtfeld zu zwingen. Deshalb ist es allerorten ein beliebter Volkssport, alles was aus Brüssel kommt als hanebüchen und nicht relevant zu betrachten. Nur so kann man erklären, dass es diese ominösen 20-30 Prozent gibt, die ohne zu zögern selbsterklärte Europafeinde ins Parlament wählen, die wir alle bezahlen und aushalten müssen. Solche mit dem verniedlicheren Begriff “Populisten” zu verharmlosen, ist naiv! Sie sind Demagogen und Feinde und gehören offensiv bekämpft. Europa ist doch so viel mehr als das beliebt zitierte “I want my money back”, dem Geben und Nehmen derjenigen Völker, die sich unter einer Idee zusammengefunden haben, dass die nationalstaatliche “Kleinstaaterei” einen idealen Überbau benötigt, alleine schon um der Hybris entgegenzuwirken, die einzelne Staaten und ihre Lenker von Zeit zu Zeit überfällt. Diese Idee ist das, was das “über den Tellerrand schauen” idealisiert und gleichzeitig (mühsam) realisiert. Wir lernen, dass die Nachbarn die gleichen oder ähnliche Probleme haben, wir lernen, dass Wasser und Luft keine Grenzen kennen, dass politische und wirtschaftliche Entscheidungen unmittelbare Auswirkungen haben, die an Ländergrenzen nicht halt machen. Wir müsssen uns zwingen wieder mehr auf das Ideelle dieser Idee zu schauen, nicht auf den Selbstbedienungsladen Europa, vor dem man sich zu Recht manchmal angewidert zurückziehen möchte. Es gibt zu Recht so viel zu kritisieren an Europa. Diesem Tanker zuzuschauen, der quasi ohne erkennbare Reaktion auf das vermeintlich hektische Umsteuern auf der Brücke reagiert. Die einfachste Reaktion des Bürgers ist, sich zurückzuziehen und sein Heil in verwaschenen Ansichten alter Zeiten zu suchen. Hier setzen die Demagogen an. Sie nehmen dieses obskure Gefühl auf und verwandeln es in einfache simple Ideen und “hast du nicht gesehen” sind sie (- die Wähler -) gefangen in Ideologien, die aus der politischen Mottenkiste stammen. Da sie sich und ihre Gedanken nicht selbst bestimmen, verstummen sie zum Fußvolk dieser Demagogen und Feinde einer überpersönlichen Idee.
Die anderen sind doch nicht besser; genießen sie die Vorzüge des Europa im Konkreten doch als inzwischen so selbstverständlich, dass sie, wie der sprichwörtliche Frosch im Kochtopf, das immer wärmer werdende Wasser nicht bemerken und keinerlei geeignete Reaktion zeigen ihrem zwingenden Dilemma zu entkommen. Stattdessen neigt man dazu, zu verharmlosen, diejenigen zu beschimpfen, die einen explizit aus dem Lehnstuhl in die konkrete Haltung zwingen wollen.
Das ist doch das was so kritisierbar am Politikbetrieb ist. Alles wird so lang gewendet und besprochen, bis man an dem Punkte ist sich möglichst wenig zu bewegen, denn es könnte ja das innere Gefüge, die Wirtschaft beschädigen. An ihr hängt, wie der Tropf am Hahn, das Wohl und Wehe, die Finanzierung, die eigene politische Zukunft, die Wiederwahl. Jahre vergehen, bis aus den kleinen Reaktionen richtungsbestimmende Fahrtänderungen werden. Man rettet die Autoindustrie, aber vergißt das Weltklima. Alle wollen, aber tun es nicht wirklich. Kinder, in ihrer zu Recht versimplifizierenden reaktionären Ansicht, erkennen den Unterschied zwischen konsequenten Handeln und verwaschenener “sowohl-als-auch” Haltung. Es ist eine Frage der Lobby; denn Diese ist zu stark in den Händen von Interessen! Diese (eher kurzfristigen) Interessen verhindern alles was die unmittelbare und konsequente Veränderung bewirkt. Aus großen Ideen werden immer kleinere Teilstücke gehackt, die am Status quo nichts wirklich verändern, bzw. so langsam, dass die Idee dabei oft auf der Strecke bleibt. Politik ist der Ausgleich von Interessen. So sieht sie sich selber. An diesen Lobbyverbänden scheitert aber die Idee per se, denn sie, die hochbezahlten Lobbyisten, bearbeiten die Entscheidungsträger in künstlichen Blasen, so lange, bis diese ihre Blasen als ihre unmittelbare Existenz- und Erfahrungswelt, aus der sie dann ihre “eigenen” Entscheidungen fällen, ansehen. Sie sind nicht böse an sich, aber sie bewirken es mitunter! Dabei können sie das gar nicht selbst begreifen, denn dazu müsste man ja über den eigenen Tellerrand schauen.
Aus diesem Grunde soll uns heute ein Text begleiten, der das “Über den Tellerrand schauen” schon zu einer Zeit betrachtete, als Deutschland sich anschickte, mit unfassbarer Glut dasjenige Höllenfeuer neu zu entfachen, das schon mit dem ersten Weltkrieg Europa ein Ende der alten Ordnung, der alten Ideen aufzeigte. 1933 war das Jahr, in dem das zarte Pflänzchen einer ersten deutschen Demokratie überrannt wurde von den Demagogen, die die Schwäche der Politiker, die Streitereien unter den Parteien, die Schwächen der sozialen Ordnung, die Unbekümmertheit der Feiernden ausnutzte und innert kürzester Zeit keinen Stein mehr auf dem anderen ließen. Wozu Völkerbund, die alte Schwatzbude, wenn der Wille des Einzelnen ganze Staaten in die Knie und die Welt in den Abgrund zwingen kann. “Wir wollen selbst bestimmen.” Alles Parolen, die einem auch heute mehr als bekannt vorkommen...
Wohlan denn. Wer noch des Lesens mächtig, sollte sich beherzt diesen wunderbaren Text von einer erhöhten Warte zu Gemüte führen. Denn wir alle stehen doch auf den Schultern von Riesen; wir müssen sie nur verstehend lesen!
MAX HORKHEIMER - Materialismus und Moral - 1933
Vielleicht hilft es, die Zeit nicht verstreichen zu lassen und eine Wahl zu treffen, eine gute WAHL!