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Der alte Tanz auf dem alten Vulkan

Mär 2022
11

... oder ... Wenn alte Männer zu Tyrannen werden und überall nur Feinde sehen... 

Wer das Licht der Information aussperren muss, der braucht offenbar Finsternis für das, was er tut.    Frank-Walter Steinmeier, Bundespräsident

 

Krieg dem Kriege

Sie lagen vier Jahre im Schützengraben.
Zeit, große Zeit!
Sie froren und waren verlaust und haben
daheim eine Frau und zwei kleine Knaben,
weit, weit – !

Und keiner, der ihnen die Wahrheit sagt.
Und keiner, der aufzubegehren wagt.
Monat um Monat, Jahr um Jahr ...

Und wenn mal einer auf Urlaub war,
sah er zu Hause die dicken Bäuche.
Und es fraßen dort um sich wie eine Seuche
der Tanz, die Gier, das Schiebergeschäft.
Und die Horde alldeutscher Skribenten kläfft:
»Krieg! Krieg!
Großer Sieg!
Sieg in Albanien und Sieg in Flandern!«
Und es starben die andern, die andern, die andern ...

Sie sahen die Kameraden fallen.
Das war das Schicksal bei fast allen:
Verwundung, Qual wie ein Tier, und Tod.
Ein kleiner Fleck, schmutzigrot –
und man trug sie fort und scharrte sie ein.
Wer wird wohl der nächste sein?

Und ein Schrei von Millionen stieg auf zu den Sternen.
Werden die Menschen es niemals lernen?
Gibt es ein Ding, um das es sich lohnt?
Wer ist das, der da oben thront,
von oben bis unten bespickt mit Orden,
und nur immer befiehlt: Morden! Morden! –
Blut und zermalmte Knochen und Dreck ...
Und dann hieß es plötzlich, das Schiff sei leck.

Der Kapitän hat den Abschied genommen
und ist etwas plötzlich von dannen geschwommen.
Ratlos stehen die Feldgrauen da.
Für wen das alles? Pro patria?

Brüder! Brüder! Schließt die Reihn!
Brüder! das darf nicht wieder sein!
Geben sie uns den Vernichtungsfrieden,
ist das gleiche Losbeschieden
unsern Söhnen und euern Enkeln.
Sollen die wieder blutrot besprenkeln
die Ackergräben, das grüne Gras?
Brüder! Pfeift den Burschen was!
Es darf und soll so nicht weitergehen.
Wir haben alle, alle gesehen,
wohin ein solcher Wahnsinn führt –

Das Feuer brannte, das sie geschürt.
Löscht es aus! Die Imperialisten,
die da drüben bei jenen nisten,
schenken uns wieder Nationalisten.
Und nach abermals zwanzig Jahren
kommen neue Kanonen gefahren. –
Das wäre kein Friede.
Das wäre Wahn.
Der alte Tanz auf dem alten Vulkan.
Du sollst nicht töten! hat einer gesagt.
Und die Menschheit hörts, und die Menschheit klagt.
Will das niemals anders werden?
Krieg dem Kriege!
Und Friede auf Erden.

Kurt Tucholsky (Juni 1919)

Psychogramm einer Wahl

Sep 2021
26

Warm dringt das letzte Herbstlicht durch die ungewaschenen Fenster und strahlt auf den Wahlzettel. Ich hätte auch sehr früh schon gehen können, doch wie immer kommen einem verhangene Fetzen in den Sinn die alles unbestimmt nach hinten schieben. Habe ich wirklich eine Wahl?

Soviel ist mir inzwischen klar, solch eine Wahl ist keine Wahl zwischen zukünftigen Dingen und Menschen die ich tatsächlich direkt beeinflusse, die eine Wahl für mich ist. Ich bekomme nur etwas vorgesetzt aus dem ich auswählen kann. Und selbst das ist unbestimmt! Da kann man zum einen Leute direkt mit einem ausreichenden Mandat ausstatten, die keiner - geschweige denn ich - persönlich kennt. Mea Culpa! Sie sind aber auch auf bestimmte Ränge und Plätze gestellt, so dass auch ihre “Wahl” eher die vorbestimmte Auswahl einer bestimmten Interessengruppe ist. Reden wir mal nicht von den Weiteren, die sich zum Teil als möchtegern Imperative verstehen, und doch auch nichts weiter als Aushängeschilder einer bestimmten und meist etwas verworrenen Interessengruppe sind. Ihr oft einziger Vor- bzw Nachteil ist, dass sie keiner registrierten Partei oder Fraktion angehören und im Weiteren deshalb auch nicht viel zu melden haben werden. Sie sind aber versorgt; nicht schlecht!
Zum anderen gibt es Parteien aus-zu-wählen, die freundlich um meine Stimme als Blankoscheck bitten, nach dem Motto: “Macht damit was ihr wollt”!

Jede Wahl ist also ein eher unbestimmtes Mandat für eine Gruppe, die über die Modalitäten ihrer Zusammensetzung augenscheinlich selbst bestimmt und sich dem direkten und verantworteten Mandat eines Wahlbürgers zu entziehen sucht. Um sicher zu gehen, haben sie das Modell der Ausgleichsmandate erfunden. Herrlich! Damit lässt sich die etwas dümmliche Wählerschaft wunderbar vorführen. Ihr einziger Nachteil ist, dass es letztendlich die Menge der Parlamentarier im Hohen Hause aufbläht und immense zusätzliche Kosten verursacht — und so letztlich doch irgendwie wieder auffällt. Aber ACH, paperlapapp das wird ja aus dem Steuersäckl bezahlt. Müssten die Parteien ihre zusätzlichen Parlamentarier selbst bezahlen, aus einem fest definierten Budget der eigentlichen festgelegten Menge, das heißt, sich selbst beschneiden, wäre es schnell aus damit. Nee nee, 🙂 aber man wird ja nochmal träumen dürfen! Jedenfalls fragt man nicht die Frösche wann und wieviel man den oder vom Teich ablassen kann.

Da sie - unsere Politiker - also so handeln, darf es nicht wundern, dass ganz allgemein der Staat, bzw seine Finanzen als ein unendlicher Topf für Zugriffe von Interessen, für unendlich unverschämte, geradezu kleptographisch räuberische Plünderungen angesehen wird. Warum sollten Firmen, Verträge, ganz allgemein Menschen diesbezüglich mit angezogener Bremse, dem Allgemeinwohl verflichteter Gesinnung handeln, wenn ihnen dies von ihren Parlamentsvertretern nicht vorgelebt wird? Milliarden werden verpulvert; ohne Konsequenzen! Es schüttelt einen, je mehr man darüber nachdenkt, und so nimmt es nicht Wunder, dass viele Wähler gar nicht mehr wählen und alles einfach geschehen lassen.

Ich nicht! Denn ich gehöre zu einer Generation die wenigstens die innere Pflicht fühlt einer Wahl, und sei sie noch so unvollkommen, nachzukommen. Es gibt nichts anderes und die Auswahl an entsprechenden Alternativen ist sehr begrenzt! Was sie ersetzt, zeigt uns Geschichte; Leider!

Man nennt es Demokratie — Herrschaft des Volkes. In unserem Fall, repräsentative Demokratie, da wir ja zu viele und zu blöd sind etwas direkt entscheiden zu können. Außerdem kommt es der Neigung des Menschen entgegen, unbestimmt und verantwortung-s-los zu sein, haben wir doch mit dem Leben selbst schon genug zu tun.

Nun wäre es zu einfach den Schluss zu ziehen, dass sie, die Politiker, unsere spiegelbildlichen Vertreter an allem Schuld und Auslöser dieser Zustände wären. Sie bilden aber nur ab, was wir sind! Oder eben einen Teil dessen, was wir selber sind. Darüber mache ich mir keine Illusionen.

Habe ich also eine Wahl? ... Hmm! ... So und jetzt gehe ich wählen...! Später mehr dazu.

Der Chinese kichert und schüttelt das laotische Haupt – aus dem die Bitcoins purzeln – angesichts dieser Umstände. Der russische Bär lacht sich ins grimmige Fäustchen, während noch schnell ein paar vorgefertigte Wahlzettel im aufgetauten Permasumpf entsorgt werden. Uncle Sam, der Kapitalist nimmt ein erfrischendes Bad in seinem Geldspeicher und singt: “Money makes the world go round”. Captain Kirk sieht endlich seiner Erstumrundung entgegen, und Jeff grinst sich einen. Der Taliban ist auch nur ein Mensch und dreht freudestrahlend ein paar Runden im Autodrom. Alles ist gut!

Quax, der Bruchpilot, Maurice, meint dagegen nur: „Frischer Fisch aus dem Nil und Kaffee, in dem der Löffel stecken bleibt: Das ist es doch, worauf es im Leben ankommt.

Am nächsten Tag herrscht Kater. Schwarzer Kater. Aber alle sind irgendwie erleichtert, dass sie nun wieder unter sich sind. Das Spiel beginnt, die Krämer kramen! Alte Rechnungen und spitze Messer werden gezückt und vorerst wieder weggesteckt. Sie zeigen aber wer der Hase und die Meute ist.

Die Absurdität der ausgeklügelten gegenseitigen Wägung im 2-Stimmen Wahlsystem wird überdeutlich, dass bestimmte Menschen definitiv abgewählt wurden und dennoch wieder einziehen. « Schließlich wollen wir so tun als ob wir dich respektieren, lieber Wähler, aber dann doch nicht wirklich im Ernst, oder?! Das hätte ja schmerzhafte persönliche Konsequenzen. Das kann doch keiner wollen! Da wir es also besser wissen, nehmen wir uns was uns zusteht. »

In einem anderen Fall wird eine Zulassungs-Begrenzung als Partei zwar gerissen und doch sind deren 3 Bewerber, ausgeschrieben “drei ” (!), als Direktmandate dennoch hinein gewählt. Zum Ausgleich für diese Ungerechtigkeit bekommt diese Partei 36 - sechunddreißig - Ausgleichsmandate hinzu. Nun kann man sogar eine Fraktion bilden und hat automatisch mehr Rechte und mehr Geld zur Verfügung. Unsere Lederhosen jedenfalls wissen davon ein Lied zu singen.

Es locken Posten und Kronen und das Vergessen. Dann kann das Spiel erneut beginnen.

Sie verstehen? Ein geniales System, es sichert Existenzen, Pfründe, Machtoptionen, es schafft sich seine eigene Welt, eine Blase, die nun während der folgenden vier Jahre von allerlei Interessen und Gruppen weiter genährt und gepflegt wird. Hinter den Mauern – abgeschirmt von den Fährnissen des Lebens – werden gerade die Entscheidungsträger und ihre Zuarbeiter in einen volatil gesättigten Zustand gebracht, schwebend über den Dingen mit den komplexen Bedürfnissen einer bestimmten Klientel bearbeitet, die Schrecken einer wesentlichen Veränderung an die Wand gemalt, bis es dasteht, das Gespinst eines Buffets, dass sich nicht mehr von selbst erneuert; Beschrieben das Grauen eines zukunftsleeren Tisches, dem knurrenden Magen das Entsetzen des Ausbleibens der steten Befüllung, der dürstenden Seele die Abstinenz edler durchgeistender Tropfen. Schon sieht er es verdampfen, verdunsten, sich in Luft auflösen, einem hageren Gespenste — der WIRKLICHKEIT — weichen ... Nein! DAS kann er nicht zulassen!

Wie sich unser Demo.krat an diesem Punkt seines Werdens entscheidet, ist nicht schwer zu erraten. Er bleibt sich treu und verrät doch seine ursprüngliche Intention eines Volks-Vertreters, so er jemals eine solche hatte. Das Wahl-Volk wird auf einmal unbestimmt und verdunstet ihm vor Augen, es ist ja auch so wankelmütig, da er ja das wahre Volk in Konkretum verdichtet vor Augen hat. Es hat seine wirtschaftlichen Nöte. Es muss also bei Laune gehalten werden. Da es dasjenige Volk ist, das den Staat und damit auch unseren Vertreter ernähret, kann es nicht falsch sein es zu schützen. Man ist unter sich. Unter Seinesgleichen!

Denken Sie nur an die VW-Betriebsräte; sie sind hohe Manager und werden von ihresgleichen anerkannt und gleichermaßen entlohnt. Alleine ihnen eine Vorteilsnahme zu unterstellen grenzt an völligem Unverständnis. Es ist ein Prinzip! Und gilt ebenso in der Politik! Und so entstehen an solchen Orten enge Freundschaften und stabile Verbindungen, gesellschaftlicher Austausch, bis hin zur gegenseitigen Hilfe und Vorteilnahme. Der Übergang in die gekaufte Republik ist fließend! Und so wird sehr schnell, nur aus dem davorgesetzten Stand.punkt und Artikel, aus der Herrschaft des Volkes, aus Demos “Volk” und kratein “herrschen” — “Das Volk beherrschen”.

Wie sonst ließe sich der Pathos und die Überheblichkeit erklären mit der Politiker - wo es doch so gänzlichst gar nicht ihre Art ist - plötzlich zum Wohle aller wirkmächtige Dinge beschließen, von deren Anspruch und Folgen sie meist wenig Ahnung haben und nie wissen, wie sie einst aus diesem angerichteten Schlamassel wieder herauskommen; sei es am Hindukusch, in der schleichenden Aushöhlung der freiheitlichen Grundrechte im Kampf gegen den Terror, oder eben in Pandemiezeiten. Alles aus gutem Grund und doch grundfalsch im Ergebnis. Die Geschichte zeigt es immer wieder.

Meist läuft es doch so, wenn der Demokrat sich endlich in die Höhen eines Ministeramtes gebracht hat: Tue wenig bis gar nichts und niemand kann dir ans Leder. Sollte es dennoch soweit kommen, dass man gezwungen ist zu handeln, haben sich obskure 10-Punkte Pläne bewährt, die so lange medial durchgeritten werden, bis jederman denkt, sie wären tatsächlich dafür da etwas konkret zu bewirken. Sobald sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit einer nächsten Krise zuwendet - und das ist gewiß - ist die Gefahr vorüber und der Plan wird bis zum nächsten Ereignis in die Dunkelheit der Schubladen zurück gelegt. Solche Ereignisse zu handeln gehört heute zum politischen Handwerk. Hat man an ein, zwei Stellschräubchen gedreht, kann alles so weiter laufen wie bisher und weiterer Schaden ist erfolgreich vermieden und abgewendet.

Schlimmer ist, wenn die Krisen anhalten und wirklich etwas getan werden muss. Dann sieht sich unser Vertreter plötzlich gezwungen zu handeln und etwas auf die eigene Kappe zu nehmen. Alles unter der medial scharf-gerichteten Aufmerksamkeits-Bestrahlung der Öffentlichkeit. Dies ist ein sehr unangenehmer Zustand. Denn das Ende ist womöglich offen und unvorhersehbar. Also folgt man einer Erzählung und bleibt ihr treu. Solch ein Narrativ ist wohl das einzige was hilft — und Zeit. Längst hat die — WIRKLICHKEIT — das Narrativ überholt und doch herrscht nackte Angst es anzupassen, sich wieder in das Unbestimmte zu ergeben; die Folgen zu tragen. Der Demo.krat ist schließlich auch nur ein Mensch!

Nun tut man natürlich all denjenigen Unrecht die sich ihre Gesinnung bewahrt haben und aufrecht gegen die Mühlen ankämpfen. Sie sind aber im Strom der Wahrnehmung eher die Ausnahme als die Regel. Einsame Don Quichotes, meist eher von den eigenen Leuten vom Hofe gejagt, als vom Wähler mißbilligt.

Wer setzt sich nun durch? Zum Einen die Jäger, die Narzisten, die genügend Skrupellosigkeit mitbringen ein paar Opfer auf ihrem Wege zu hinterlassen. Sie sind Kämpfer, und Psychopaten und ihr Platz, die Arena. Doch werden sie auch ebenso schnell aus dem Wege gerollt wenn ein neuer Platzhirsch die Herde beansprucht; ihr eigener Zenit an Machthunger überschritten ist. Dann gibt es die ruhend Sit.ZEN.den. Sie überstehen oft lange und schadlos die Wirren der Tagesgeschäfte, aus denen sie sich heraushalten, die Nächte der langen Messer, denn sie nutzen eine besondere Form der Machtausübung, die seit dem amerikanischen Politologen Joseph S. Nye gemeinhin als Soft Power gegenüber der Hard Power bezeichnet wird. Verkürzt in etwa: Eine kulturelle Attraktivität des ideologischen Narrativs. Sie geht nicht gegen an, sondern nutzt das Vertrauen als Basis. Sie hören so lange zu bis sich ein Weg abzeichnet, der in der erschöpfenden Entkräftung der Kontrahenten einen Lösungsweg ergibt. Ihre Hard Power ist diejenige, die ihre Kontrahenten bei ihnen für möglich halten, nicht aber deren konkrete Anwendung. Ihr wahrer Schatz liegt in der Attraktivität ihrer “Vision”. Dies kann gänzlichst ohne eine solche auskommen. Aber es ist die Nutzung der positiven Kraft, also eine Entgegennahme, ganz ein wenig so wie es die östlichen Kampfkünste vermitteln. Jeder kriegerische Akt ist ein Akt der Gewalt, der Zerstörung. Darauf kann nichts bauen! Hinwendung und Verwandlung sind die Kennzeichen eines großen Staatskünstlers. Auch ein solcher hinterläßt so manchen Psychopaten ausgelaugt und entnervt am Wegesrand, doch nicht aus Zerstörung, sondern aus Entkräftung!

Ach du grüne Neune! Jetzt habe ich mich doch tagelang etwas hinreißen lassen und sehe schon einen schier unendlichen Weg des weiteren Beschreibens vor mir. Aber Sie sehen worauf ich hinauswollte. 😅 Ich anerkenne die Kunst so lange regiert zur haben, ohne dass einen am Ende ein Brutus das Licht auslöscht! Respekt!

 

Am Grunde der Moldau wandern die Steine
Es liegen drei Kaiser begraben in Prag.
Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.
Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.

Es wechseln die Zeiten. Die riesigen Pläne
Der Mächtigen kommen am Ende zum Halt.
Und gehn sie einher auch wie blutige Hähne
Es wechseln die Zeiten, da hilft kein Gewalt.

Am Grunde der Moldau wandern die Steine
Es liegen drei Kaiser begraben in Prag.
Das Große bleibt groß nicht und klein nicht das Kleine.
Die Nacht hat zwölf Stunden, dann kommt schon der Tag.

 

DAS LIED VON DER MOLDAU, Bertolt Brecht

So long..!

» Hab’ ich es denn Euer Gnaden nicht gesagt, es seien Windmühlen, und das könne nur der verkennen, der selber welche im Kopf habe? «  M. de Cervantes, Sancho Panza an seinen Don

Ein Appell zur Stärkung der Moral in schwieriger Zeit

Jun 2020
11

Wovon man nicht sprechen kann darüber muß man schweigen.

Mein lieber Wittgenstein! Dem ist wohl so.
Doch gleichwohl findet sich auch immer jemand, der diese Schätze zu heben weiß, damit sie nicht ungesagt im dunklen Grabe verschwinden.

Courtesy of Freer Gallery of Art and Arthur M. Sackler Gallery, Smithsonian Institution

Bert Brecht schrieb dieses wundervolle Gedicht 1938 in Skovsbostrand bei Svendborg in Dänemark. Angeblich soll er 1933 auf dem Weg ins Exil aus Berlin ein chinesisches Rollbild mitgenommen haben, das den Laotse im Gebirge auf einem Ochsen reitend darstellte. Es hing wohl an der kahlen Wand bei seinem Schreibtisch, bevor er kurz danach weiter emigrierte und schließlich über den Osten in den Westen und dann wieder nach Berlin zurückkehrte. Im Mai des Jahres 1956 wurde Brecht mit einer Grippe in die Berliner Charité eingeliefert und starb am 14. August 1956 an einem Herzinfarkt.
Laotse selbst ist wohl ein Mythos, als leibgewordener Gründer des Taoismus. Heute nimmt man an, dass das Buch des Tao-Te-King ein Sammelwerk verschiedenster mündlicher Überlieferungen ist, dazu noch aus unterschiedlichen Zeiten. Und doch hat dieser Mythos sich tief in die chinesische Werdung hinein verknüpft; und von da aus in die ganze Welt.

 

BERTOLT BRECHT
LEGENDE VON DER ENTSTEHUNG DES BUCHES TAO TE KING
AUF DEM WEG DES LAOTSE
IN DIE EMIGRATION

Als er siebzig war und war gebrechlich,
Drängte es den Lehrer doch nach Ruh’,
Denn die Weisheit war im Lande wieder einmal schwächlich
Und die Bosheit nahm an Kräften wieder einmal zu.
Und er gürtete den Schuh.

Und er packte ein, was er so brauchte:
Wenig. Doch es wurde dies und das.
So die Pfeife, die er abends immer rauchte,
Und das Büchlein, das er immer las.
Weißbrot nach dem Augenmaß.

Freute sich des Tals noch einmal und vergaß es,
als er ins Gebirg den Weg einschlug.
Und sein Ochse freute sich des frischen Grases
Kauend, während er den Alten trug.
Denn dem ging es schnell genug.

Doch am vierten Tag im Felsgesteine
Hat ein Zöllner ihm den Weg verwehrt:
„Kostbarkeiten zu verzollen?” „Keine.”
Und der Knabe, der den Ochsen führte, sprach:
„Er hat gelehrt.”
Und so war auch das erklärt.

Doch der Mann in einer heitren Regung
Fragte noch: „Hat er was rausgekriegt?”
Sprach der Knabe: „Daß das weiche Wasser in Bewegung
Mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt.
Du verstehst, das Harte unterliegt.”

Daß er nicht das letzte Tageslicht verlöre,
Trieb der Knabe nun den Ochsen an.
Und die drei verschwanden schon um eine schwarze Föhre.
Da kam plötzlich Fahrt in unsern Mann
Und er schrie: „He, du! Halt an!”

„Was ist das mit diesem Wasser, Alter?”
Hielt der Alte: „Interessiert es dich?”
Sprach dem Mann: „Ich bin nur Zollverwalter,
Doch wer wen besiegt, das interessiert auch mich.
Wenn du’s weißt, dann sprich!

Schreib mir’s auf. Diktier es diesem Kinde!
So was nimmt man doch nicht mit sich fort.
Da gibt’s doch Papier bei uns und und Tinte
Und ein Nachtmahl gibt es auch: ich wohne dort.
Nun, ist das ein Wort?”

Über seine Schulter sah der Alte
Auf den Mann: Flickjoppe. Keine Schuh.
Und die Stirne eine einzige Falte.
Ach, kein Sieger trat da auf ihn zu.
Und er murmelte: „Auch du?”

Eine höfliche Bitte abzuschlagen
War der Alte, wie es schien, zu alt.
Denn er sagte laut: „Die etwas fragen,
Die verdienen Antwort.” Sprach der Knabe: „Es wird auch schon kalt.”
„Gut, ein kleiner Aufenthalt.”

Und von seinem Ochsen stieg der Weise,
Sieben Tage schrieben sie zu zweit.
Und der Zöllner brachte Essen (und er fluchte nur noch leise
Mit den Schmugglern in der ganzen Zeit).
Und dann war’s so weit.

Und dem Zöllner händigte der Knabe
Eines Morgens einundachtzig Sprüche ein
Und mit Dank für eine kleine Reisegabe
Bogen sie um jene Föhre ins Gestein.
Sagt jetzt: kann man höflicher sein?

Aber rühmen wir nicht nur den Weisen,
Dessen Name auf dem Büchlein prangt!
Denn man muß dem Weisen seine Weisheit erst entreißen.
Darum sei der Zöllner auch bedankt:
Er hat sie ihm abverlangt.

Ein uralter Spruch, überliefert den Ohnmächtigen der Welt, denen nichts anderes gegeben, als sich immer wieder selbst erneut den Mächtigen entgegenzustellen. Weichgespült durch Menschenkraft des Widerstands. Das Mittel, um auch heute noch die repressive Staatsgewalt das Fürchten zu lehren! Denken wir nur an die tapferen Studenten aus Hongkong und welche Sogwirkung sie auf ihre Mitbürger hatten. Wasser und simple Regenschirme, welch eine Symbolik. Die Geschichte ist voll davon wie dieses einfache Mittel die stärksten Systeme brach. Doch leider haben diese dazugelernt und verfügen heute über die schrecklichen Möglichkeiten der digitalen Komplettüberwachung. Ein ungleicher Kampf mit ungewissen Ausgang.

Lao Tse, Spruch 78, LXXVIII
“Nichts Nachgiebigeres in der Welt als Wasser /
Dennoch zwingt es das Härteste.”

Tröstung und Hoffnung zugleich!
Murmeln wir also tapfer unser Mantra: “Daß das weiche Wasser in Bewegung / Mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt /...dass das..”