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Dialogon - Chutneys und Dämonen - 24 hours later

Sep 2017
18

Schweißgebadet, aufgefrischt,
Kampf verloren - Nacht erlischt!

Dämmernd in das Blau des Tages ziehen die Geschwader der Nacht an einem vorbei. Hämisch grinsend.
Die kleinen Teufelchen reiten in meinen Blautöpfen, bemalen und beschmieren ihre Wände, kichern und verkriechen sich wieder in ihren Gläsern.

Don Quichotte © CC, Yelkrokoyade ⇔ Wikipedia

Mein Glaube an das Wahre und Gute hat gelitten auf dieser Reise des Lebens.
Was ist die Wahrheit? Nur ein Gespinst, ein glaubenstechnischer Nebel für das Leben selbst?

Oh mein Kafka, du erklärst die Wahrheit gleichzeitig zum unabdingbaren Lebenselexier, wie zum Leben selbst; bestehend aus den Geschichten, die die Menschen aus ihrem Innern selbst entstehen lassen.

Geschichten, die miteinander verwoben ein unentflechtbares Band von Erzählungen ergeben, einen Kortex, einem wabernden rindenartigen geschwulstigen Etwas in dessen Raume wir uns bewegen und fort.während existierend hineinschreiben.

Unsere Nächte verbringen wir damit Schneisen und Pfade in dieses Dickicht zu hauen, gegen die riesig kreisenden Arme der Riesen zu kämpfen, die doch selbst nichts weiter sind als Windmühlen im Wind der Geschichte(n).

Ich bin durchzogen von Rissen, augenscheinlich und wortwörtlich. Sie sind die Nahtstellen an denen die Vase zu Bruch ging, zersplittert, verletzlich, wegbare Pfade, Abkürzungen im Raum.
Sie halten das wuchernde Geflecht im Zaum, sind die Gräber der Nacht, durch Zauber vernäht um den neuen Tag zu be.gehen.

Es ist der Tag ein neues Chutney zu kochen! Reife Früchtchen kleinzuschnippeln, mit allerhand Zutaten anzureichern, sie mit grundlegender und verfeinernder Geistigkeit zu versehen.
Man muss komponieren mit diesen Zutaten; aufpassen, nicht zuviel an Bitternis, Schärfe, der Süße und des Salzes, dem heimlichen Komplott hinzuzufügen. Auch das Saure ist Teil seiner vollendeten Form.

Den Flammen übergeben dampft es ein, bildet ein fruchtiges Kompott des Lebens, von Spice durchzogener Risse, eingemuster Gedichte.
Verbannt in den Schrank, erzählen sie ihre Geschichten über Jahre, aber des Nachts erwachen die Dämonen, springen bisweilen aus ihren Gläsern und tanzen mit ihren verzogenen Masken, fechten alte Gefechte, besudeln die heilenden Wände.
Dem letzten bißchen verbliebener Würde verbleibt die letzten Gefechte auszufechten, als letzte Verteidigungslinie.

Sind Spuren im Sand
Menschen entsandt.

Ja, Ja!
Ornellas großes Ohr lauscht auf die kleinen Dinge um die großen zu gestalten, denn “Das große Ganze beginnt mit einem Ohr für die kleinen Dinge”. So ist das mit der Welt, sie ist einseitig und man hört so oft nur mit dem einen Ohr hin.

So setzen sich die Geschichten fort. Halb hingehört, ergänzt dazugedichtet und fertig ist ein neues Gespinst, dass seinem Faden, den faden alten Pfaden folgt.

Doch scheint es genau das zu sein, wessen die Menschen bedürfen. Eine gesättige Masse der Mitte. Mit immer neu erhöhtem Familiengeld gekaufte Mehrheiten, die nicht merken, wie sie im eigenen Safte dahinköcheln, ausgenommen mit immer neuen kleinen Flatrates und Neuerungen, die einem das Geld wie an einer Zugschnur aufgeperlt auf der anderen Seiten wieder hinausziehen.

Neue Wohnviertel hübsch und glatt und mit allen Annehmlichkeiten versehen, doch ohne Leben, ohne Facetten, geeignet ihren schmorigen Dienst zu tun, so dass es den Bewohnern schon recht vorkommt, wenn sie die Farben des Lebens nur noch mit den jeweiligen Jahres-Modefarben der “Lacoste” Hemden und des täglich schimmernden “Hugo” auf ihrem Bistro-Tisch verwechseln. Ein Hoch auf diese Annehmlichkeiten, alles ein wenig Bio und Hip, bärtig urige Crafter als Lieferanten des neuen Lebensgefühls.

Die gesellschaftlichen Ränder sind dann entweder der unter den Teppich gekehrte Schmutz, der an allem sowieso keine Teilhabe mehr hat; denn die Annehmlichkeiten der Mitte sind ihnen unbezahlbar. Oder es sind die völlig abgehoben Superreichen einer anderen Welt. Unreguliert und uneinholbar, nicht zu greifen, da sie mit keiner zaghaften Begrenzung zu fassen sind; globales Treibgut, Schaum einer Gesellschaft, gefangen in ihrer eigenen Blubberblase.

Diese vermakelte Mitte merkt gar nicht wie sie am Tropfe hängt und nur noch selbstvergessen ihrem hippen Dasein frönt, ganz ihrem Smartphone angehörig, das sie willenlos dahinsteuert. Eine Art von Massenhypnose. Oanzapft iss! Wie sagte schon Hegel?

Sie anerkennen sich, als gegenseitig sich anerkennend.

Über allem schwebt der Weltenhumor. Und das ist gut so. Denn sonst wäre es unerträglich!

Rückblicke

Mai 2014
30

Lobsters sind principalis Einzelänger! Was nicht heißt, das sie nicht dann und wann auch einen Freund finden. Selten. Einen Freund im Geiste, einen verwandten Geist.

Mein Freund ist ein nordpazifischer Lobster, mit dem ich schon die ganze Welt gesehen habe. Und warum? Uns war es in unseren Höhlen zu eng geworden; die Flucht nach vorn eine willkommene Abwechslung. Gewissermaßen ist meinem pazifischen Freund schnell klar geworden, dass er eine austerbende und deplazierte Art ist, wenn er nicht auswandert. Was er denn auch tat und an immer neuen Orten Fuß fasste.

Geprägt vom Leben, immer noch auf der Suche nach uns selbst, stehen wir nun da und schauen auf die kurvigen Trümmer der Hoffnungen und Erwartungen. Staunend. Ernüchtert. Wissend, dass die Zeiten jugendlicher Eroberung neuer Höhlen und neuer Reviere grundsätzlich vorbei ist.

So erreichte mich vor kurzem ein Brief meines Freundes, rück blickend:

Der Fern-seher

Wir sitzen in einem rostigen kleinen Fiat und rasen mit erhöhtem Tempo durch die bergige und kurvenreiche Landschaft von Marokko. Ich bitte meinen Freund um eine langsamere und angemessenere Fahrweise in einem Land, wo unberechenbare und unbeleuchtete Fußgänger, Schafe und Fahrradfahrer kreuzen oder auf falscher Fahrbahn entgegen kommen - wir sind doch nicht auf der Rallye Paris-Dakar? Keinen Zweck, wir düsen weiter; “Ich muss mich nicht an deine Empfehlung halten, oder?”, kommentierte der verrückte Fahrer.

Die Windschutzscheibe wird zum Bildschirm, alles zieht beliebig an einem vorüber, jede Kurve birgt wieder eine Kurve, einen Berg, ein neues Hindernis oder eine Überraschung und die Wiederholung dessen, eine Kurve, einen Berg... Doch bald stellt man fest, nichts ist wirklich neu, alles schon einmal gesehen, alles in vielfachen Variationen erlebt, sogar die Überraschungen kopieren sich fortlaufend.

Besteht das Leben aus nichts anderem als einer unendlichen Kette von variierenden Wiederholungen...? Was soll dann die Fahrerei mit steif werdenden Gliedern und ermüdenden Augen? Kann ich nicht anhalten und mich hinsetzen und fragen warum? Sehe ich nicht in dem Moment des Aussteigens weitaus mehr? Und wird nicht durch tausend Eindrücke der einzelne Eindruck verdrängt - nichtig gemacht?

Das Äussere Sehen ist Fern-sehen und dient nicht nur die zahllosen Eindrücke durch neue zu überlagern, sondern auch sich als Betrachtender zu vergessen und um sich abzulenken von wahren Themen des Lebens: sich selbst zu finden, mit sich zu Recht zu kommen, sich und andere zu ertragen, sich weiterzubilden und sich zu formen. Das neue Reisen sucht den inneren Weg, nicht Abgase, Äußere Gegebenheiten oder weitere fremdländische Orte.

jb marroko

In unserer Zivilisation kann man in endloser Se­­rie Dinge finden, die einen befriedigen, die einem ständig neue Höhepunkte liefern, die einen klei­­den, die einen informieren und so weiter. Alles steht bereit für ein Leben in Bequemlichkeit, mit Tempo und mit Spaß. Aber dann gibt es etwas in uns allen, das sagt: Und was jetzt? Und was dann?

Saul Bellow, Interview, Wir müssen die Klassiker studieren, die Zeit, 13.1.1989


liebe grüße an den fahrer...
john

 

Mein lieber John - ich denke an dich, in deiner Höhle! Und erinnere die tausendundeine Nacht, die wir in Marokko erlebten! ;-)

Martini hat nicht immer nur mit Gänsen zu tun...

Nov 2011
18

Schriftsteller liebten es von jeher in Hotels zu wohnen. Hotels bieten Geschichten. Sie erzählen endlose Geschichten des Lebens, kleine und große. Das Hotel ist eine kleine Insel, es hat ein eigenes Leben. Das Schöne ist, niemand muß sein eigenes Zimmer aufräumen, unsichtbare Geister stellen die Ordnung immer wieder her. Wer wüßte das besser zu schätzen als ein Künstler, dem der Sinn für dererlei Profanitäten abgeht. Es soll allerdings auch Ausnahmen geben... Nunja! Ein gutes Hotel bietet soooo viel ... ein Panoptikum des Lebens, einen Rückzugsort für geschundene Seelen, meist auch eine Bar, in der man seinen Kummer bei ein paar Martinis für ein paar Stunden vergessen kann...

I like to have a martini,
two at the very most.
After three I’m under the table,
after four I’m under my host!
 
Dorothy Parker, um 1920