Du denkst, ich schlafe? Ich schlafe nicht; ich höre alles...
Am heutigen Tage des großen Theaters unserer Freunde auf der Insel können wir also nur mit einem großen Theater des Ostens antworten.
»Das geht nicht, Ilja Iljitsch«, sagte Sachar. »Ich würde mich von Herzen freuen, wenn es ginge; aber es geht schlechterdings nicht!«
Rufen wir sie also zur Ordnung: « Odaaaa, Odaaaaar! »
Iwan Gontscharow: Oblomow - Aus Kapitel 11 / 12
Kaum hatte Ilja Iljitschs Schnarchen Sachars Ohr erreicht, als er auch schon vorsichtig ohne Geräusch von der Ofenbank sprang, auf den Zehen auf den Flur ging, seinen Herrn einschloß und sich zum Haustor begab.
»Ah, Sachar Trofimowitsch! Seien Sie uns willkommen! Man hat Sie ja so lange nicht gesehen!« sagten in verschiedenen Tonarten die Kutscher, Lakaien, Frauen und Kinder am Tore.
»Was macht denn Ihrer? Er ist wohl ausgegangen?« fragte der Hausknecht.
»Er schläft«, erwiderte Sachar finster.
»Nanu?« sagte ein Kutscher. »Ich möchte meinen, es ist doch noch zu früh; um diese Tageszeit ... er ist wohl krank?«
»Wo wird er krank sein! Er hat sich vollgesoffen«, versetzte Sachar in einem Tone, als ob er selbst davon überzeugt wäre. »Können Sie es glauben: er allein hat anderthalb Flaschen Madeira und zwei Liter Kwaß getrunken: da hat er sich nun hingelegt.«
»Sieh mal an!« sagte der Kutscher neidisch.
»Warum hat er sich denn heute betrunken?« fragte eine der Frauen.
»Nein, Tatjana Iwanowna«. antwortete Sachar, indem er ihr nach seiner Gewohnheit einen schiefen Blick zuwarf; »das ist nicht bloß heute so; er ist überhaupt ein rechter Taugenichts geworden; es ekelt einen, davon zu reden!«
»Er ist offenbar ganz wie der Meine!« bemerkte die Frau mit einem Seufzer.
[ ... ] Hier verlassen wir nun die tratschenden Seelen für einen Augenblick und kehren zu späterer Stunde zurück. [ ... ]
Als es vier Uhr durch war, schloß Sachar behutsam ohne Geräusch die Tür des Vorzimmers auf und schlich auf den Zehen in seine Stube; von dort aus trat er an die Tür des Wohnzimmers seines Herrn und hielt zuerst das Ohr heran; dann kauerte er sich nieder und legte das Auge ans Schlüsselloch. In dem Zimmer ertönte ein gleichmäßiges Schnarchen.
»Er schläft«, flüsterte er; »ich muß ihn wecken; es ist bald halb fünf.«
Er hustete und trat ins Zimmer.
»Ilja Iljitsch! Hören Sie, Ilja Iljitsch!« begann er, am Kopfende von Oblomows Bett stehend, mit leiser Stimme. Das Schnarchen dauerte fort.
»Nein, was der schläft!« sagte Sachar. »Wie ein Ratz!«
»Ilja Iljitsch!«
Sachar berührte Oblomow leise am Ärmel.
»Stehen Sie auf! Es ist halb fünf.«
Ilja Iljitsch ließ als Antwort darauf nur ein Brummen vernehmen, wachte aber nicht auf.
»So stehen Sie doch auf, Ilja Iljitsch! Was ist das für eine Schande!« sagte Sachar mit erhobener Stimme.
Es erfolgte keine Antwort.
»Ilja Iljitsch!« wiederholte Sachar und berührte seinen Herrn am Ärmel.
Oblomow drehte den Kopf ein wenig herum und öffnete mühsam in der Richtung nach Sachar hin das eine Auge, das wie gelähmt aussah.
»Wer ist da?« fragte er mit heiserer Stimme.
»Ich bin es. Stehen Sie auf!«
»Mach, daß du wegkommst!« brummte Ilja Iljitsch und versank wieder in festen Schlaf. Statt des Schnarchens ließ sich nun ein Pfeifen durch die Nase vernehmen. Sachar zupfte ihn am Rockschoße.
»Was willst du?« fragte Oblomow in drohendem Tone und öffnete auf einmal beide Augen.
»Sie haben mir befohlen, Sie zu wecken.«
»Nun ja, ich weiß. Du hast deine Pflicht erfüllt – nun mach, daß du wegkommst! Das übrige ist meine Sache...«
»Nein, ich gehe nicht weg«, versetzte Sachar und berührte ihn wieder am Ärmel.
»Na aber, faß mich doch nicht an!« sagte Ilja Iljitsch mit sanfter Stimme, drückte den Kopf in das Kissen und wollte wieder weiterschnarchen.
»Das geht nicht, Ilja Iljitsch«, sagte Sachar. »Ich würde mich von Herzen freuen, wenn es ginge; aber es geht schlechterdings nicht!«
Er berührte den Herrn von neuem.
»Na, so erweise mir doch die Liebe und störe mich nicht!« bat Oblomow inständig und öffnete die Augen.
»Ja, jetzt soll ich Ihnen die Liebe erweisen; aber nachher werden Sie selbst darüber ärgerlich sein, daß ich Sie nicht geweckt habe...«
»Ach du mein Gott! Was ist das für ein Mensch!« sagte Oblomow. »Na, laß mich doch noch ein bißchen schlafen, wenn auch nur eine Minute; was kommt es denn auf eine Minute an? Ich weiß ja selbst...«
Ilja Iljitsch verstummte auf einmal, da ihn der Schlaf plötzlich wieder übermannte.
»Aufs Schlafen verstehst du dich!« sagte Sachar, der davon überzeugt war, daß sein Herr ihn nicht hörte. »Nun seh einer, er schläft wie ein Klotz von Espenholz! Wozu bist du eigentlich auf die Welt gekommen?«
»So steh doch auf, sag ich dir!...« brüllte Sachar los.
»Was? Was?« sagte Oblomow drohend und hob den Kopf in die Höhe.
»Ich sage, wollen Sie nicht aufstehen, gnädiger Herr?« erwiderte Sachar in sanftem Tone.
»Nein, wie hast du das gesagt, he? Wie kannst du es wagen, so – he?«
»Wie denn?«
»So grob zu reden?«
»Das ist Ihnen nur im Schlaf so vorgekommen ... bei Gott, nur im Schlaf.«
»Du denkst, ich schlafe? Ich schlafe nicht; ich höre alles...« Aber dabei schlief er schon wieder.
»Na«, sagte Sachar ganz verzweifelt, »ach, du Mensch, du! Was liegst du da wie ein Baumstamm? Es wird einem ja übel, wenn man dich bloß ansieht. Seht nur einmal her, liebe Leute! ... Pfui, so was!«
»Stehen Sie auf, stehen sie auf!« begann er plötzlich in ängstlichem Tone. »Ilja Iljitsch! Sehen Sie nur, was um Sie herum geschieht...«
Oblomow hob schnell den Kopf in die Höhe, blickte um sich und legte sich mit einem tiefen Seufzer wieder hin.
»Laß mich in Ruhe!« sagte er würdevoll. »Ich habe dir befohlen, mich zu wecken; aber jetzt ändere ich meinen Befehl, hörst du wohl? Ich werde von selbst aufwachen, sobald es mir gut scheinen wird.«
In solchen Fällen nahm Sachar manchmal von weiteren Versuchen Abstand und sagte: »Na, dann schlafe, hol’ dich der Teufel!« Manchmal aber bestand er auch auf seinem Willen, und so machte er es auch jetzt.
»Stehen Sie auf, stehen Sie auf!« schrie er aus voller Kehle und ergriff Oblomow mit beiden Händen beim Rockschoße und beim Ärmel. Oblomow sprang plötzlich unerwartet auf die Beine und stürzte auf Sachar los.
»Warte du nur, ich will dich lehren, was es heißt, seinen Herrn stören, wenn er schlafen will!« sagte er.
Sachar rannte Hals über Kopf von ihm weg; aber Oblomow hatte kaum drei Schritte gemacht, als seine Schläfrigkeit vollständig verschwunden war. Er begann sich zu recken und zu gähnen.
»Gib mir . . . Kwaß . . .« sagte er zwischen dem Gähnen hindurch.
In diesem Augenblicke brach hinter Sachars Rücken jemand in ein helles Gelächter aus. Beide sahen sich um.
»Stolz! Stolz!« rief Oblomow ganz entzückt und stürzte dem Ankömmling entgegen.
»Andrei Iwanowitsch!« sagte Sachar grinsend.
Stolz schüttelte sich immer noch vor Lachen; er hatte die ganze vorhergehende Szene mit angesehen.
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